Historie Lehe
Die Gemeinde Lehe wurde das erste Mal erwähnt im Jahre 1217.
Die ehemalige alte Siedlung lag auf einer Nehrung. Die Entstehung der Lundener Nehrung begann etwa 3.000 v. Chr. Mit der Ablagerung von Kies, Sand und Muscheln. Diese Ablagerungen trieben vom Geestrand aus Eiderstedt und vor Heide heran und bildeten zuletzt von Dahrenwurth bis Wittenwurth eine 11 km lange Nehrung.
Die Ortschaft Lehe entstand auf dem nördlichen Teil der Lundener Nehrung und war durch eine alte Stromniederung vom zentralen und hohen südlichen Teil abgetrennt. Dieser Strom, der damals das Lundener Moor und den ehemaligen Lundener See entwässerte, bildete die Gemarkungsgrenze zwischen Lehe und Lunden.
Auf der alten Düne steht der alte Leher Deich. Er wurde schon 1400 gebaut. Zwei markante Durchbruchsrinnen durchziehen die Leher Düne von West nach Ost und wurden zuletzt bei der Sturmflut im Jahre 1717 überschwemmt. Bis zur Zeitenwende hatten sich, auch durch herangewehte Wattssande, die bis zu 8 m hohen Dünen aufgetürmt.
Für Lehe (mit den verschiedenen alten Schreibweisen: Lae, Lhe, Leehe und Lhee) gibt es die eine Ortsnamendeutung, wonach Lehe „in Lee“ einer alten Dünenkette, geschützt gegen Westwinde, liegt. Die andere Deutung drückt mit “Le“ oder „Lede“ soviel wie Niederung, aber auch wüst daliegendes Land aus. Das kann man so verstehen, dass Lehe im Vergleich zu Lunden bedeutend niedriger lag und über lange Zeiträume fast ungenutzt, wüst und öde war. Lehe erklärt sich daher als Ort, der Schutz vor Hochwasser und Sturm bietet.
Lehe weist, aus der Geschichte und den naturräumlichen Gegebenheiten heraus begründet, unterschiedliche Siedlungsstrukturen auf. Der überwiegende Teil der Siedlung befindet sich im Anschluß an die Gemeinde Lunden auf dem Ausläufer der Lundener Nehrung. In diesem Bereich mischen sich die Strukturen eines typischen Straßendorfes, wie sie entlang der alten B 5 bis hin zum Lundener Koog noch deutlich zu erkennen sind mit den Strukturen moderner Siedlungen. Darüber hinaus finden sich im Bereich von Preil und Dahrenwurth im Dammskoog zwei eigenständige Haufensiedlungen, die sich um ehemals einzelstehende Hofanlagen gruppieren.
Peter Swyn - "Pater patriae“ (Vater des Vaterlandes)
Einer der bedeutendsten Bewohner Lehes war Peter Swyn.
Dithmarschens geschichtliche Sonderstellung beruht seit dem hohen Mittelalter entscheidend auf seinen Geschlechterverbänden, die sich wahrscheinlich während der Marschenkolonisierung zwischen 1100 und 1200 herausbildeten.
Diese Personalverbände entwickelten sich weiter zu Schwur- und Fehdegemeinschaften, in denen auch altgermanische Prinzipien wie die Blutrache und die Eideshilfe erhalten blieben.
Neben den Geschlechterverbänden besaß Dithmarschen seit Anfang des 13. Jahrhunderts mit seinen 14 Kirchspielen bereits eigene Organe der kommunalen Selbstverwaltung.
Mit der ersten handschriftlichen Aufzeichnung des Dithmarscher Landrechts im Jahre 1447 und der Einsetzung des Kollegiums der Achtundvierziger behalten die Geschlechter und Kirchspiele zwar auch weiterhin wichtige Aufgaben im politischen Leben, doch führt diese Verfassungsreform zu einer Stärkung der Zentralgewalt in Dithmarschen.
Der Versammlungsort der Landesgemeinde wurde von Meldorf auf den Heider Marktplatz verlegt; das Gremium der 48 Ratgeber oder Richter, später auch Verweser oder Regenten genannt, entwickelte sich zu einer Dithmarscher Landesregierung. Die Führung einer kleinen Gruppe sicherte dem Dithmarscher Bauernstaat bis Mitte des 16. Jahrhunderts seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit.
Staatsmännisch begabte Bauern wie etwa Peter Nanne und Peter Swyn, die in Lehe wohnten und dort Höfe besaßen, zählten zu den führenden Köpfen des Kollegiums der Achtundvierziger.
Als Sohn des Reymer Swyn, der zwischen 1461 und 1480 als Mitglied des Kollegiums der 48 bezeugt ist, entstammt der 1481/82 geboren Peter Swyn einem in den Kirchspielen Hemme und Lunden ansässigen Wurtmannengeschlecht.
Die historische Überlieferung weist Peter Swyn in der Schlacht bei Hemmingstedt im Februar 1500 als Kämpfenden an der Schanze „Dusent duvels werff“ aus, wo das Dithmarscher Bauernheer über das fürstliche Heer und die Söldnertruppen des dänischen Königs Hans und seines herzoglichen Bruders Friedrich siegte.
Vor 1512 muss Peter Swyn als Regent in das Kollegium der Achtundvierziger hineingewählt worden sein, denn er überbringt in diesem Jahr dem neu gewählten Erzbischof von Bremen, dem offiziellen Landesherrn, den Willkomm Dithmarschens.
Seiner Verhandlungskunst ist es zu verdanken, dass 1514 Landeskinder, die als Söldner des Grafen Edzard von Ostfriesland in die Gefangenschaft des Grafen Georg von Meißen geraten waren, ihre Freiheit zurückerlangten.
In seinen jüngeren Jahren war Peter Swyn Anhänger des Katholizismus, bis im Jahre 1532 durch Beschluss der Landesgemeinde der evangelische Glaube in Dithmarschen eingeführt wurde.
Die Gründung der Lundener Pantaleonsgilde (1508), seine Bemühungen für die Errichtung eines Franziskanerklosters in Lunden sowie seine Wallfahrt nach Santiago de Compostela im Jahre 1522 zeigen ihn als gläubigen Katholiken. Auch in den Auseinandersetzungen um den Reformationsprediger Heinrich von Zütphen steht Swyn auf der Seite der Reformationsgegner, nimmt aber eine eher zurückhaltende, vermittelnde Position ein.
Seit den 1530er Jahren gehört Peter Swyn zu den herausragenden Repräsentanten des Regentenkollegiums. Durch seine ruhig-vermittelnde Klugheit, seinen klaren, schlagfertigen Verstand und seine Begabung als Redner gelingt es ihm, das Regentenkollegium nach außen gegen fürstliche und kirchliche Widersacher und nach innen gegen die Geschlechterverbände zu stärken.
Im Jahre 1537 wirkt Peter Swyn gegen heftigen Widerstand an einem Landesschluss mit, der einschneidende Veränderungen in der Rechtsordnung Dithmarschens und die Entmachtung der Geschlechterverbände zur Folge hat. Durch den Landesschluss werden die Blutrache und die Eideshilfe abgeschafft und gleichzeitig eine Stärkung des Regentenkollegiums erreicht.
Als Peter Swyn 1537 selbst durch die Kirchspiele ritt, um den Landesschluss abzukündigen, wurde er von Gegner ermordet. Sein Enkel ließ am Tatort eine prächtige Stele errichten, die sich heute auf dem Geschlechterfriedhof der St. Laurentius-Kirche befindet. Die Inschrift dieser Stele rühmt Peter Swyn mit dem Ehrennamen „pater patriae“ (Vater des Vaterlandes), der sich um die Freiheit Dithmarschens verdient gemacht hat.
Ein Nachsatz anlässlich einer Veranstaltung in der Lundener St.-Laurentius-Kirche im August 1987 von Staatssekretär Dr. Wolfgang Clausen:
"Zum Abschluss lassen Sie us noch der Frage nachgehen, ob das Wirken von Peter Swyn lediglich ein historisches Ereignis war, oder ob es auch für unsere heutige Zeit von Bedeutung ist. Hierzu ist es erforderlich, noch einmal kurz in die Geschichte zurückzublicken.
Vor der Entstehung der modernen Staaten, war die wesentliche Organisationseinheit die Sippe, die Großfamilie im weitesten Sinne. Die Summe der Sippen bildete den Stamm. Dies galt sowohl bei den Germanen wie auch bei den meisten anderen Völkern.
Die Sippe und der Stamm gaben dem einzelnen durch feste Verwurzelung in der Großfamilie erst die Möglichkeit zum Leben, boten ihm Schutz und Hilfe in der Not. Innerhalb der Gruppe wurde Recht gesprochen. Das Gottesurteil, der Zweikampf oder Beweis durch Eideshelfer waren die maßgeblichen Beweismittel. Der Ausstoß aus der Sippe oder dem Stamm war das schwerste Schicksal, das heute noch in dem Begriff „vogelfrei“ zum Ausdruck kommt. Verletzungen oder Tötungen von Mitgliedern einer anderen Sippe lösten unweigerlich die Blutrache, die Fehde aus, die sich oft in einer Kette von Bluttaten über Generationen hinzog.
In Dithmarschen als einem keiner anderen Gewalt unterliegenden Bauernstaat haben sich die Sippen in einer Form der Geschlechterverbände mit ihren althergebrachten Rechtsvorstellungen besonders lange erhalten.
Peter Swyn und die übrigen Ratmannen seiner Zeit haben sich der Aufgabe gewidmet, für Dithmarschen eine neutrale, von allen anzunehmende Zentralgewalt zu schaffen. Ihr Ziel war es, das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen gegen die althergebrachten Rechte der Sippen. Die Tragik von Peter Swyn war, dass er gerade einer solchen Blutrache zum Opfer fiel.
Wir müssen und auch heute immer wieder klar machen: Es ist für ein friedliches Zusammenleben aller Bürger, zur Vermeidung von Chaos und Bürgerkrieg erforderlich, den gemeinsamen Staat als alleinigen Hüter des Rechts anzuerkennen. Es ist ihm die Befugnis zuzubilligen, als einzige Instanz zur Durchsetzung des geltenden Rechts Gewalt anzuwenden, wenn keine andere Lösung möglich ist. Dieses sollte uns heute umso leichter fallen, als wir eine demokratisch gewählte Staatsgewalt haben.
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass das Wirken Peter Swyns genauso wie sein tragischer Tod Aktualität haben. Er ist mit seinen Zielen eine in unsere Zeit passende Gestalt der Geschichte. Sein Kampf um die Durchsetzung eines für alle geltenden Rechts und die Herstellung des inneren Friedens hat und heute noch sehr viel zu sagen. "
Textauszug aus:
Kurt Dummann
Die Gemeinde Lehe an der Zeitenwende
Eine Dokumentation zum Jahr 2000